Boys do cry

Jungs, die rocken, ein Festival machen und weinen

Boys don’t cry – das gilt nicht mehr unbedingt. Simon Solde (22) hatte Tränen in den Augen, als er auf der Bühne stand und die schreckliche Nachricht überbringen musste. Es war vorbei. Wochenlang hatten sie auf diese Nacht hingearbeitet und Unmögliches möglich gemacht. Fünf Freunde haben vor einem Jahr Geburtstag gefeiert und eine Musikveranstaltung mit knapp 300 Leuten und Bands auf die Beine gestellt. Doch kurz bevor die letzte Band, die Headliner, wie sie auf Festivals heißen, spielen sollte, kam die Polizei. „Um halb zwei war Grün-Weiß da“, erzählt Michel Key (22). Danach war Schluss. So beschlossen die fünf Freunde, dass ihnen das nicht noch einmal passiert.

In der Georgstraße in Grefrath ist die Rebellion zu Hause. Hinter schmucken Gardinen treffen sich an diesem Tag die fünf Freunde, um etwas Großes zu planen: Diesmal soll es ein Festival mit 500 Menschen im Wald von Grefrath werden. Es klingt wie die Genese eines Start-up-Unternehmens – aus einer verrückten Idee heraus geboren. „Wir wollten mit unserer Band auch mal auf einem Festival spielen, da dachten wir, machen wir doch einfach selbst eines“, erzählt Michel Key. So gewann das Trafostation61-Festival an Gestalt. Es ist im übrigen benannt nach der Transformatorenstation auf dem Gelände in der Nähe des Marienfeldes und findet dort am 17. und 18. August statt.

Der Zimmermann mit Tattoo am Oberarm und irischen Wurzeln sitzt auf der pflanzenumranken Terrasse hinter dem Haus seiner Mutter in Grefrath bei Eistee und Multivitaminsaft und wartet auf seine Freunde. Die letzten Vorbereitungen zum zweiten Trafostation61-Festival müssen noch festgeklopft werden. Simon Solde arbeitet in einem Bestattungsunternehmen und kommt in Hemd und Anzug, zieht sich aber noch schnell ein T-Shirt an. „Ich bin mal unsere Kalkulationen durchgegangen, es sieht ganz gut aus.“ Solde wedelt mit einem Ordner. Vergangenes Jahr sei alles drunter und drüber gegangen. Das soll dieses Mal besser werden. Die jungen Männer plünderten ihre Sparbücher, um einmal selbst oben auf der Bühne zu stehen und zu spielen. „Eigentlich bist du Schriftführer, Alter“, herrscht Simon Solde den 20 Jahre alten Softwareentwickler Michael Thomer an und lacht.

Manchmal hat man das Gefühl, den fünf ist das Ausmaß ihres Projektes selbst nicht ganz geheuer. Und die Rollen, in denen sie plötzlich stecken. Simon Solde, der Organisator, Michel Key, der Zweifler, Julien Zeiler, der Sprücheklopfer, Michael Thomer, der Netzwerker, und Nils Gröning, der Ruhepol. Es sind Jungs, die sich mit „Jo!“ begrüßen, mit „Alter“ anreden und „Hau rein!“ verabschieden. Jetzt müssen sie sich plötzlich um Auflagen des Ordnungsamts kümmern, um Sanitäter, Haftpflichtversicherung und Dixieklos. Zum Glück haben sie aber auch das Dorf auf ihrer Seite: Als der Pächter ihnen nicht noch einmal die Grillhüte vermieten wollte, hieß es jedes Mal, wenn er ins Dorf zum Einkaufen kam: „Lass die Jungs doch machen.“ Michel Keys Großvater war im Stadtrat, also ging Michel Key zu Bürgermeister Hans-Willi Meier und erzählte ihm von ihrem Plan. Meier griff sofort zum Hörer: „Er hat 30 Anrufe geführt und war voll heiß“, erzählt Michel Key. Irgendwann erhielten sie die Zusage. Vater Key ist bei der Feuerwehr, die zur Stelle ist, Sanitäter vom Roten Kreuz sagten schon von sich aus zu, weil sie sowieso das Festival sehen wollen. „In der Dorfgemeinschaft Grefrath hilft jeder dem anderen, das ist super“, sagt Julien Zeiler.

Klar, was es nicht ist: Kommerz

Die fünf wollen den Verein „Kulturtrafo Frechen“ gründen, um Musik, Kultur und Sport zu fördern. Das Festkomitee Grefrather Karneval gab ihnen die Satzung für den Verein. Die Freunde spielen Basketball und Eishockey, „und wir haben voll viele Skater in unserem Freundeskreis“ – damit wollen sie auch Jüngere ansprechen. Doch auch im Hintergrund sind noch Menschen aktiv, allen voran Felix Rudolph (20), Grafik-Designer und Sänger von „Grandma Death“. Er ist zuständig für das Design der Webseite, für Schilder und fürs Campen. Und er besorgt Lichterketten von der Kirche. Aber auch sonst gibt es viele Freiwillige, die als Parkplatzeinweiser, Security oder Bandbetreuer mithelfen. „Von Freunden für Freunde“ – das ist das Motto des Trafostation-Festival – und mit Freunden. Damit ist auch klar, was das Festival nicht ist: Kommerz.

Neun Tage vor dem Festival sind gut 300 Karten verkauft, 263 Besucher haben auf Facebook ihre Teilnahme bestätigt. Alles steht so weit. Leichte Anspannung, nach wie vor Sprüche, das Müllproblem muss noch gelöst werden, doch die Augen strahlen vor Vorfreude. Die fünf verstehen sich als Frechener Jungs, auch wenn ein paar von ihnen inzwischen in Köln wohnen. Sie verorten sich politisch eher links – „Nazis wollen wir auf unserem Festival nicht haben“. Die Bands, die alle aus der Region kommen, rangieren stilistisch von Trash Metal über Funk zu Stoner und Glam Sleaze-Rock. Das Wetter macht den fünf Freunden keine Sorgen. „Schlamm gehört zu jedem guten Festival dazu“ – sie sind hart im Nehmen. Aber Tränen gehören eben auch dazu. Boys do cry.

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