Der Kampf mit der Freiheit

In der modernen Arbeitswelt gibt es viele Jobstrategien – eine davon ist die der Selbstständigen. Ihr Berufsleben changiert zwischen Glanz und Elend. Pamo Roth hat nachgefragt

Ständig selbstständig – das bedeutet auf der einen Seite Selbstbestimmung, Unabhängigkeit, eigene Projekte und Visionen, auf der anderen Seite aber auch kaum Urlaub, oft eine 7-Tage-Woche, Zukunftsängste, Geldmangel und eine uferlose Steuererklärung. Innerhalb dieser beiden Welten bewegen sich in Deutschland etwa vier Millionen Menschen, davon mehr als doppelt so viele Männer wie Frauen. Insgesamt sind das nur 11 Prozent der Deutschen, viele scheuen vor den Risiken eines eigenen Geschäfts zurück.

Dies will nicht nur die neue Initiative 20prozent e.V. ändern. Sie will das Image von Selbstständigkeit verbessern und den Anteil der freiberuflich Tätigen in Deutschland bis zum Jahr 2020 auf 20 Prozent erhöhen. Auch an einigen deutschen Hochschulen unterstreicht man in Zeiten einer schwierigen Arbeitsmarktlage und flexiblen Jobbiografien den Wert von Selbstständigkeit für die Volkswirtschaft mit einer eigenen Professur.

So doziert Reinhard Schulte in Lüneburg über Gründungsmanagement, sein Kollege Lambert Koch lehrt an der Universität Wuppertal – eine der wenigen Hochschulen mit gleich zwei Professuren auf diesem Gebiet – über Unternehmensgründung und Wirtschaftsentwicklung und der Berliner Professor für Entrepreneurship Günter Faltin hat einst selbst ein Unternehmen gegründet. Im Folgenden erzählen sechs Selbstständige vom schmalen Grad zwischen Erfolg und Scheitern, Glanz und Elend, von ihrem ganz persönlichen, alltäglichen Kampf mit der großen Freiheit.

Vincent Haase*, 32, selbstständiger Anwalt im Bereich Strafrecht

Im Anschluss an mein Referendariat habe ich mit zwei Kollegen eine Sozietät in Hamburg gegründet. Angestellte Anwälte im Strafrecht sind eher selten und ich wollte nie etwas anderes machen. So blieb mir fast nur der Weg in die Selbstständigkeit.

Weder durch das Studium noch das Referendariat wird man auf die praktische Arbeit als Strafverteidiger vorbereitet, das heißt, alles ist neu und man muss es sich selbst beibringen. Daneben muss der Laden laufen. Wenn man keinen finanziellen Background hat oder protegiert wird, ist das schwer, weil der Markt so hart umkämpft ist. Die beachtliche Anzahl an Anwaltspleiten legt darüber ein Zeugnis ab. Ich bin sehr blauäugig rangegangen und habe die Belastungen nicht vorhergesehen: Nichts ist so, wie man sich ein Anwaltsleben vorstellt. Es dauert Jahre, bis man sich einen Mandantenstamm aufgebaut hat und wirklich Geld verdient. Existenzängste hat man in der Selbständigkeit ja immer ein wenig. Immerhin habe ich die lästige Steuerklärung gleich ausgelagert.

Inzwischen arbeite ich seit drei Jahren als Strafverteidiger, bin komplett selbstständig und hatte schon einige spannenden Fälle: Mord, Totschlag, Betrug, Homejacking und einen Bankraub. Dennoch bereue ich diesen Schritt auch manchmal, denn dass das Wirtschaftliche im Gegensatz zur Juristerei eine so große Rolle spielt, ist anstrengend.

Jeden Tag bin ich so gegen halb neun im Büro, fahre dann ins Gericht oder in die Haftanstalt. Danach bin ich wieder zurück in der Kanzlei, die ich selten vor halb sieben verlasse. Das heißt aber nicht, dass ich dann völlig abschalte, denn in meinem Beruf ist ständige Präsenz gefordert – 24 Stunden lang. Das merke ich vor allem an meinem Notrufhandy, das auch am Wochenende klingelt und mich bei Hausdurchsuchungen auch mal um 6 Uhr morgens aus dem Bett holt.

(2) Ahmet Delitürk*, 36, selbstständiger Programmierer und Consultant

Als ich 13 Jahre alt war, stand ich oft vor den Regalen mit den ersten Computern und war fasziniert. Ein Freund brachte mir dann das Programmieren bei und überredete mich später auch zum Informatikstudium. Das habe ich allerdings nach drei Monaten abgebrochen habe, weil ich mir in dem Uni-Dschungel verloren vorkam.

Ich bin Autodidakt und bin trotzdem – oder gerade deswegen? – seit 20 Jahren erfolgreich, vor allem zu den Zeiten des Internetbooms 1997, wo mir viel Geld geboten wurde. Dennoch ist mein Stundensatz der gleiche wie vor acht Jahren. Zwischendurch war ich auch mal bei einem Internet Start-Up angestellt. Als Vizepräsident der Entwicklungsabteilung fehlte mir aber meine Freiheit. Weil Unabhängigkeit eine große Rolle für mich spielt, habe ich gekündigt.

Ich will nie wieder angestellt sein, das widerspricht auch meinem speziellen Lebensrhythmus: Ich bleibe bis vier Uhr morgens wach, weil ich nachts am besten denken kann. Tagsüber lebe ich. Ich schlafe aus bis 12 Uhr mittags, hoffe, dass ich nicht unbedingt viel zu tun habe, spiele Klavier, lese und spaziere durch mein Viertel.

Für Außenstehende ist das wohl der Inbegriff der digitalen Boheme. Mich selbst würde ich so aber nicht bezeichnen. Ich versuche die Arbeit minimal zu halten, aber wenn ich an einem Projekt arbeite, leiste ich nicht Dienst nach Vorschrift, sondern gehe voll darin auf.

(3) Wanja Wedekind, 37, selbstständiger Restaurator

Schon während meines Studiums der Restaurierung von Steinobjekten war mir klar, dass ich mich selbstständig mache. Ich wollte eigenverantwortlich und meine Kreativität ohne Druck entfalten. In meinem Arbeitsbereich ist dieser Schritt auch eher die Regel. Von Anfang an lief es gut. Bereut habe ich es nie.

Inzwischen habe ich mit zwei Kollegen die Firma „Wandwerk“ gegründet, habe sechs Angestellte und etwa 20 freie Mitarbeiter. In Zukunft könnte ich mir vorstellen, mich unabhängiger vom finanziellen Druck zu machen und ein institutionell finanziertes Zentrum für Restaurierung in Mexiko zu gründen.

Mindestens ein Drittel meiner Arbeit ist Akquise, Buchhaltung und Organisation, der Rest Handwerk. Mein Tag geht von acht Uhr morgens bis acht Uhr abends. Man muss eine Prise Idealismus mitbringen, denn dieser Job ist zeitintensiv und wird selten adäquat honoriert. Außerdem hat man als Selbstständiger immer ein Risiko zu tragen.

Andererseits ist jedes Projekt unterschiedlich und eine neue Herausforderung: Gerade haben wir die Restaurierung von zwei neuen Ausstellungssälen im Neuen Museum in Berlin abgeschlossen. Da ist man natürlich schon ein bisschen stolz.

(4) Grischa Steffin, 36, selbstständiger Informatiker und Yogalehrer

Während des Internethypes, als ich gerade mein Studium abschloss, waren die Zeiten ganz hektisch. Ich beschloss sofort, mich selbstständig zu machen. Mir war vor allem meine Freiheit wichtig.

Zunächst ging ich für ein Jahr nach New York, ohne konkrete Perspektive, einfach auf gut Glück. Doch Jobangebote gab es dort dann genug. Ich habe bei einem Start-Up gearbeitet und versucht, auf diesen Zug aufzuspringen und superreich zu werden, um mit 35 nicht mehr arbeiten zu müssen. Allerdings habe ich dann gemerkt, dass es die Zeit und die Nerven, die das kostet, nicht wert ist. In der Selbständigkeit neigt man ja dazu, sich selbst auszubeuten. Deshalb sind Zwangspausen wichtig. Man sollte etwas haben, das außerhalb des Jobs und nur für einen selbst ist.

Auf meinen Reisen durch Indien, Amerika und Thailand habe ich Yoga kennen und lieben gelernt. Nachdem ich mich damit intensiv beschäftigt hatte, habe ich 2004 dann die erste Schule für Ashtanga-Yoga in Berlin gegründet. Für die Organisation, Werbung und auch Steuererklärung hat mir natürlich die Informatik geholfen. Und auch so ergänzen sich die beiden so scheinbar gegensätzlichen Arbeiten ganz gut – beide sind eigentlich erstaunlich verkopft.

Der gravierende Unterschied ist natürlich, dass Yoga sich mit grundsätzlichen Fragen des Menschseins auseinandersetzt, während Informatik sich mit Dingen beschäftigt. Informatik ist für den Geldbeutel, Yoga für die Seele. Ich stehe meist um sechs Uhr morgens auf, mache Yogaübungen und gebe um acht Uhr Unterricht. Der Nachmittag ist meist der Informatik gewidmet. Manchmal habe ich um 10 Uhr abends noch einen Yogakurs. Am wichtigsten für mich bleibt: ausreichend schlafen und nicht um jeden Preis viel Geld verdienen.

(5) Henrik Tidefjärd, 32, Stadttouren- und Eventmanager

Ich bin Kosmopolit und liebe die Subkultur in Metropolen. Ich habe in London als Kellner gearbeitet, in Schweden im Hotel und war während meines schwedischen BWL-Studiums drei Jahre in Barcelona. Nach meinem Abschluss habe ich in einer Berliner Werbeagentur gearbeitet, kam mir aber schnell ausgebeutet vor und habe entdeckt, dass Marketing ein Catwalk ist, auf dem es um Schickeria und Komplexe geht – ich wollte aber nicht im Büro sein, sondern das Leben erleben.

Da war klar, das geht nur, wenn ich mich selbstständig mache. Ich entwickelte ein Konzept, dass 100 Prozent zu meinem Lebensstil passt: Mein BWL-Studium, mein Faible für Partys, Internationales, Lifestyle und meine Erfahrungen in der Hotellerie und Gastronomie bündelte ich in einer idealen Symbiose zu einem Beruf. Man kann keine Firma gründen, die man nicht selbst verkörpert, denn Zweifel oder Unsicherheiten merkt der Kunde sofort.

Heute beschäftige ich in meinem Unternehmen berlinagenten eine Angestellte und zehn Freelancer. Man muss sich trauen, etwas zu machen, was sonst kein anderer macht. Die meisten haben Angst, etwas aufzugeben, aber dann kann man nichts Neues gewinnen. Bereut habe ich diesen riskanten Schritt nie. Ich entscheide, was ich mache, teile meine Zeit selbst ein und habe vor allem die Freiheit, auch mal Nein zu sagen. Diese Freiheit ist das Beste an der Selbständigkeit.

Dennoch ist es manchmal auch extrem stressig. Du musst rund um die Uhr erreichbar sein, 24 Stunden lächeln und authentisch sein. Diese Last und Verantwortung merke ich aber nur selten. Meistens erfreut mich meine Arbeit, ich treffe interessante Personen, beschäftige mich mit meinen spannenden Themen, lerne skurrile Sachen kennen und kann meine Kreativität für meine eigenen Ziele einsetzen.

(6) Michi Pretzer, 28, selbstständige Friseurmeisterin

Mit 15 Jahren habe ich eine Ausbildung zur Friseurin angefangen und mit 23 meinen Meistertitel gemacht. In dieser Zeit war ich natürlich angestellt. Doch irgendwann hatte ich davon genug. Ich verdiente zu wenig Geld und wollte mir auch nicht mehr sagen lassen, wie ich die Handtücher zusammenlegen soll. Da entschied ich mich für die Selbstständigkeit.

Ich war für drei Monate arbeitslos, um eine Ich-AG anmelden zu können. Dann machte ich mit einer anderen Friseurin unseren eigenen Laden auf. Es läuft gut, inzwischen haben wir eine Angestellte und drei Plätze. Und obwohl wir überhaupt keine Werbung gemacht haben und alles nur über Mundpropaganda lief, weil wir einen bestimmten Kundenkreis wollten, sind wir immer gut ausgebucht.

Ich liebe es, selbstbestimmt zu arbeiten, mein eigener Chef zu sein, und wir verdienen besser. Buchhaltung mache ich einmal im Monat für vier Stunden, Einkauf fünf Stunden – ansonsten stehe ich von zehn bis 20 Uhr am Frisierstuhl und schneide Haare.

Natürlich ist der Schritt in die Selbständigkeit gerade am Anfang auch mit viel Stress und Überforderung verbunden. Nach einem Jahr hatte ich sogar deswegen Panikattacken, das ist aber jetzt nach insgesamt zwei Jahren vorüber. Und natürlich hat sich damit auch mein Lifestyle geändert: Innerhalb der Woche mal länger feiern gehen, ist jetzt tabu. In meiner Zeit als angestellte Friseurin, war es mir egal, wenn ich mal fertig während der Arbeit war, jetzt nicht mehr.

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