Die Crux mit der Unesco

Das Bündner Dorf Müstair lebt vor allem vom Tourismus. Die Vergabe des Unesco-Labels für das Kloster St. Johann vor bald 30 Jahren hat sich für die 1700 Seelen im Dorf bezahlt gemacht. Für die Benediktinerinnen ist der kulturelle Ritterschlag aber nicht nur ein Segen

Ein Glockenschlag zerreisst den warmen Schlaf. Die hastigen Schritte in den Kreuzgängen verschluckt der Steinboden, nur die vor Kälte starren Kutten rascheln. Stummes Nicken zur Begrüssung. Mit gesenkten Köpfen heben die ersten Nonnen zur Vigil an, die den Übergang von der Nacht in den Tag begleitet, die anderen antworten im Wechselgesang. Die Choreografie von Stehen, Sitzen und Knien, das Umblättern der Seiten, das Perlen des Rosenkranzes, scheint in der absoluten Synchronie dieser zwölf Frauen von einem inneren Uhrwerk gesteuert.

Unesco – die A-Klasse der Kunst

kloster müstair

Nachdem die Morgenhore verhallt, die Messe gesprochen und das Frühstück schweigend eingenommen ist, widmen sich die Schwestern schweigend handwerklicher Arbeit. In der Pause bricht ein Lachen aus Schwester Domenica heraus: „Das Unesco-Weltkulturerbe? Das ist die Crux, die wir zu tragen haben. Aber das empfinden wir eigentlich nicht negativ.“ Die Antwort irritiert. Nur sieben Stätten der Schweiz dürfen das Label des Welterbes führen. Es ist der kulturelle Ritterschlag, die A-Klasse der Kunst.

Doch der geld- und ruhmreiche Segen, den er für das Kloster bedeutet, ist auch eine Bürde, die auf den Nonnen lastet: „Seitdem wir unter Denkmalpflege stehen, dürfen wir nicht mehr selber entscheiden, wie und was renoviert wird – erst recht als Weltkulturgut.“ Schwester Domenica ist das Scharnier zwischen der Schwesternschaft und der Baukommission. Dort vertritt sie die Wünsche der Nonnen.

Die Zeiten des Tesa-Films

Zum Beispiel bei der Geschichte mit den Fenstern. Die Fenster der barocken Klosterzellen waren alt und zugig. Die neuen sollten jedoch nach den Vorstellungen der Baukommission so sein wie die alten: barock. Durch die Einfachglasfenster spürten die Nonnen aber nach wie vor die Zugluft: „Eure Fenster sind schön, aber uns zieht es“, widersprach Schwester Domenica dem barocken Erhaltungswillen. „Schliesst doch die Fensterläden“, erwiderten die Architekten in der Baukommission.

Die Nonnen wollten aber nicht im Winter auch tagsüber das Licht anmachen. „Wir haben gepocht auf unseren Wunsch“, Schwester Domenica klopft zu jeder Silbe mit ihren Handknöcheln auf den Tisch: „Wir wol-len Doppel-glas-fen-ster.“ Schliesslich wurde eine elegante und kunsthistorisch unbedenkliche Lösung gefunden: Eingezogene und nicht sichtbare Innenfenster verhindern, dass es zieht – knapp zehn Jahre dauerte das Ringen darum. Schwester Domenica strahlt – Mission ‚Fenster’ erfüllt im Einvernehmen zwischen Schwesternschaft und Baukommission.

„Die Arbeit in der Baukommission ist für mich eine Horizonterweiterung. Die Schwestern haben mich ausgesucht, weil ich mich durchsetzen kann.“ Durchsetzen gegen die Experten, die sie an anderer Stelle charakterisiert als „stur wie die Stiere“. Bei diesem oftmals schwierigen Balanceakt zwischen der geschlossenen Schwesternschaft und der engagierten Baukommission hat ihr ihr Optimismus geholfen. „Vorher war alles noch schwieriger.“ Vorher, das war zu Zeiten des Tesafilms. Bevor die Nonnen Geld von der Denkmalpflege für die nötigen Renovierungen erhielten, klebten sie Tesastreifen über die Risse in ihren Zellen, damit es nicht herunter rieselte.

Kampf um die Holzböden

Schwester Domenica

Das ist der Segen des Unesco-Welterbes. Doch es gibt auch Schattenseiten. Manchmal nehmen die Auseinandersetzungen zwischen der Baukommission und den „Frauen aus einem anderen Jahrhundert“, wie sie sich auf ihrer Website nennen, auch groteske Formen an: „Wir müssen die Technik verstecken“, sagten die Architekten und wollten keine Lichtschalter in den Zellen. „Aber Technik ist doch etwas Gutes und gehört in unsere Zeit“, konterte Schwester Domenica. Leider erfolglos: Die Steckdosen wurden unter den Betten und hinter den Schränken versteckt, zum Licht anschalten, hängt ein Strick von der Decke.

Sogar der gemeinsame Esssaal birgt eine Geschichte um die Bürde der Unesco: Der Kampf um die Holzböden. Um dem barocken Anspruch zu genügen, sind diese nicht lackiert, sondern nur mit Bienenwachs eingerieben: „Aber das ist nicht optimal.“ Domenicas funkelnder Blick blitzt über ihren goldenen Brillenrand. Speisereste oder Flüssigkeiten, die auf dem Boden landen, ziehen ein und hinterlassen unwiderrufliche Spuren. „Man schrubbt lange auf den Knien, aber weg kriegt man es nie ganz.“ Die Lösung der Baukommission lautete denkbar einfach: „Lasst die Patina darüber wachsen“ –jedoch denkbar unpraktikabel, denn bis zu dieser natürliche Schutzschicht dauert es Jahrzehnte. Domenica stösst hörbar Luft aus: „Diese Männer, das sind ja lauter Männer, die müssen keine Böden putzen!“ Die Patina wächst, die Nonnen schrubben.

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