Schwanger in Geiselhaft

Eine Bonner Journalistin fährt nach Syrien, um über eine Terrorgruppe zu berichten. Sie wird entführt und bekommt ihr Kind in Gefangenschaft.

Janina Findeisen Foto: Markus Tedeskino

Was, wenn zwölf Quadratmeter dein Leben sind? Was, wenn dein Kind in diesen zwölf Quadratmetern geboren wird, aufwächst und du nicht weißt, ob es jemals die Freiheit kennenlernt? Was, wenn du nicht weißt, ob du jemals die zwölf Quadratmeter lebendig verlassen wirst? Die Journalistin Janina Findeisen ist 2015 mit 31 Jahren hochschwanger im syrischen Krieg entführt und 351 Tage in Geiselhaft genommen worden.

Wenige Wochen nach ihrer Befreiung wirkt die junge blonde Frau mit den braunen Knopfaugen und dem dunklen Timbre in der Stimme gefasst und selbstbewusst, keinesfalls gebrochen oder verunsichert. Sie sitzt in ihrer Heimatstadt Bonn in einem Restaurant und isst. Sie wirkt abgeklärt. Redet über ihre Entführung wie andere über einen abenteuerlichen Wochenendausflug. Wie übersteht man eine Geiselhaft? Wie die monatelange Isolation? Ihr Blick hält den Fragen stand.

Zwar war sie schon als Kind ungestüm und mutig, mehr, als es sich ihre eher vorsichtige Mutter gewünscht hätte. Doch warum sie sich schwanger und gegen die sorgenden Einwände ihres Freundes und ihrer Familie in solch eine Gefahr begeben hat, dazu sagt sie auch im Nachhinein: „Das war der größte Fehler meines Lebens, das bereue ich.“

Dreh- und Angelpunkt ihrer Geschichte ist ihre Jugendfreundin Laura. Laura heißt eigentlich anders, aber als Janina ein Buch über ihr Martyrium in Syrien schreibt, ändert sie den Namen zum Schutz der Familie. Laura war immer mehr als eine Freundin. Laura war irgendwie auch ein Idol. Eine, zu der man aufschaut, wie Janina Findeisen sagt. „Ich kenne Laura seit der Schule, und sie war diese Art von Freundin, die mir als Kind imponierte.“ Laura wird sie in Syrien treffen. Laura wird sie verraten.

Mit ihr wuchs sie in der Altbau-Idylle des spießbürgerlichen Bonns auf. Verbrachte zahllose Stunden und Tage am sogenannten Stein, einem Treff am Bahnhof. Redete mit ihr über Jungs, Liebeskummer, Eltern. „Wir waren Mädchen und wollten Frauen werden. Und wir gaben uns größte Mühe, dass unsere Eltern von unseren Experimenten kaum etwas mitbekamen.“

Laura wird nach der Schule Beamtin, heiratet, bekommt eine Tochter. Plötzlich kommt die Wende. Sie konvertiert zum Islam, bis sie schließlich ihrem Ehemann nach Wasiristan folgt. Nachdem er in den Dschihad gezogen und gestorben ist, ruft sie im Video zum Dschihad auf. Als erste Frau in einem deutschsprachigen Propagandavideo der Dschihadisten. Janina Findeisen ist erschrocken, aber auch in Sorge. Sie macht sich auf die Suche, nimmt Kontakt auf, will verstehen.

2015 erhält Janina Findeisen von Laura, die inzwischen von Wasiristan nach Syrien mit drei Kindern und einem neuen Ehemann gezogen ist, eine Sicherheitsgarantie. Eine in der syrischen Welt maßgebliche Zusage, die wie ein Vertrag gilt, dass ihr nichts zustößt. Findeisen ist zu diesem Zeitpunkt 31 Jahre alt und im siebten Monat schwanger. Sie arbeitet als Journalistin für den Rechercheverbund von NDR, WDR und der Süddeutschen Zeitung.

Lichtblick sind die Besuche einer Ärztin aus Syrien

Trotz Bedenken – „es war verantwortungslos, leichtsinnig und falsch“, schreibt sie im Buch – stürzt sie sich in das Wagnis. Sie lässt sich über die türkische Grenze einschleusen, trifft Laura. Sie merkt, dass sich ihre damalige Freundin mehr verändert hat, als sie dachte. „An ihren Worten, aber auch an ihrer Art, die so nüchtern zu sein scheint, ist in der Beiläufigkeit eine Härte enthalten, die schwer auszuhalten ist. Mir wird klar, wie unterschiedlich unsere Erfahrungswelten sind. Langsam, aber sicher dämmert mir, dass wir meilenweit voneinander entfernt sind.“ Janina Findeisen trifft den Commander einer befreundeten Gruppe der al-Nusra Front, will das Land wieder verlassen. Doch dann wird sie entführt.

Eingesperrt in ein Zimmer in wechselnden Wohnungen wird sie laut eigener Aussage weder vergewaltigt noch misshandelt. „(Sie) greifen mich nicht körperlich an, sondern wahren eine strikte Gendersegregation.“ Sie wollen sie gegen Geld von der Bundesregierung freilassen, nehmen Videos und Fotos auf, doch die Verhandlungen der „Amateurentführer“, wie Findeisen sagt, scheinen im Sand zu verlaufen.

Die Wochen verstreichen, sie verzweifelt mehr und mehr, kämpft mit depressiven Stimmungen. Ein Lichtblick sind die Besuche einer syrischen Ärztin, die sie bei der Geburt betreut. Das Kind kommt problemlos und gesund zur Welt. „Die Entführung hat mein Leben aus den Angeln gehoben: die tägliche Kriegshölle, der Zweifel, das Kopfkino, die Angst, die Verzweiflung, die Hoffnungslosigkeit. Es war die bitterste Zeit meines Lebens, aber ich habe niemals aufgegeben, ich habe mich gegen die Entführung gestellt, ich habe versucht, das schwarze Loch (…) zu besiegen.“

Heute arbeitet Janina Findeisen wieder als Journalistin

Was sie am Leben hält, wie sie nach der Entführung in Deutschland sagt, ist vor allem ihr Sohn, für den sie sich zusammenreißt, sich auf das Jetzt konzentriert. Und der ihr Stärke gibt. Aber auch Yoga, Meditation, Hollywood-Streifen und ein geheimes Tagesbuch helfen ihr in ihrer Isolation. „Als Bollwerk gegen die Ungewissheit der Situation diente mir das Schreiben, es war mein geistiges Zentrum, um keinen Kontrollverlust zu erleiden.“ Das Tagebuch erfüllt einen reinen Selbstzweck, bei der Befreiung vergisst sie es. Zusammen mit dem Kuscheltier ihres Sohnes, einem Coca-Cola-Eisbären, möglicherweise aus einer Hilfslieferung. Sie hatte das Tagebuch dem Tier ins Futter geschoben, um es zu verstecken.

Es ist jetzt gut zwei Jahre her, dass eine verfeindete Gruppe, die Jabhat al-Nusra, der die Entführung auch angelastet wird, sie wieder befreit und der Türkei übergibt. Findeisen arbeitet wieder als Journalistin in Berlin, besucht ihre Mutter in Bonn. Oma, Mama, Kind – wie in Tausend anderen Familien auch: „Ich bin demütiger geworden, dankbar eine zweite Chance bekommen zu haben. Ich denke aber auch, dass wir unsere Chance nutzen müssen in unserer westlichen Demokratie mit Bildung, Sicherheit und Freiheit.“

Aber es gab auch eine Zeit der Brüche. „Manchmal fühle ich mich in den ersten Wochen und Monaten von einem auf den anderen Moment unwohl. (…) (Die Deutschen) sind selbstgerecht und engstirnig, denke ich manchmal, wenn mir die Erinnerung an das Leben in Syrien die Kehle zuschnürt.“ So schreibt sie in ihrem Buch. Heute ist von ihrer Wut nichts zu spüren.

Und Laura? Janina Findeisen konfrontiert die Freundin nach ihrer Befreiung über einen verschlüsselten Messenger-Chat. Diese erklärt, dass sie sich habe scheiden lassen, aber sonst nichts für Janina habe tun können. Laura hat die Gruppe nie verlassen. Sie hat Janina während derer Gefangenschaft nicht besucht, sich nie nach ihrem Befinden erkundigt. Wer Laura heute für sie sei? Findeisen nennt sie immer noch „eine Freundin.“ So wie damals, als sie Teenager waren am Bonner Bahnhof.

Hinweis: Die Autorin kennt Janina Findeisen seit ihrer Kindheit, da ihre Eltern befreundet sind

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