Wilde Nächte

Burlesque erobert Berlin. Doch warum feiern Frauen, die sich aus Korsetts entblättern, auf der Bühne zelebrierte Männerfantasien als feminine Rückeroberung? Eine Enthüllungsgeschichte aus dem Berliner Nachtleben

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Seidengeraschel, Kichern und Gläserklirren. Ein Käfig voller halbnackter Frauen, die sich in Korsetts zwängen, sich verschnüren, pudern, mit Glitzer bestreuen und mit Champagner anstoßen. Es ist der Abend der ersten Fête Fatale – einer neuen, regelmäßig stattfindenden Burlesque-Veranstaltung. Auf der Bank in einer Ecke züngelt eine burmesische Albino-Königspython. Julius ist die Bühnen-Komparsin von Firelilly: Eine revolverbewaffnete Western-Saloon-Lady, die während ihrer Performance ihre Kleider flambiert. Die Unterwäsche ist komplett aus Leder, nicht entzündbar. Den Slip kannste gern mal anfassen.

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Durch die Damen hinter den Kulissen verläuft eine unsichtbare Trennlinie: die mit und die ohne Korsett. Nachdem sich Tänzerin Diamond in das Stangenmieder helfen und am Rücken festzurren lässt, verändern sich auch ihre Bewegungsabläufe: Bücken zum Schuhe binden ist nicht mehr, stattdessen muss sie elegant in die Hocke gehen. Hängende Schultern und laxe Lümmelhaltung weichen einem aufrechten Rücken – gerade Brust raus – wie von Mama gepredigt. Doch unverkrampfter, weil von Federbandstahl gehalten. Dennoch wirkt das brachiale Dessous weniger einzwängend und luftabdrückend, als die Vorstellung reihenweise in Ohnmacht fallender Rokoko-Damen es vermuten ließe. Nur die Bewegungen werden durch die veränderte Körperhaltung manieristischer. Die vorher unscheinbar anmutende Diamond steht plötzlich unter Spannung wie eine aufziehbare Tanzpuppe und ist präsenter.

Denn tatsächlich stellt dieser stoffbezogene Körperkäfig, der eine Wespentaille zaubert, ein ganz neues Körpergefühl her. Wer es trägt, geht aufrechter, wirkt dadurch selbstbewusster und wird es auch, erklärt Tonia Merz dieses Phänomen. Sie gehört zu den wenigen Korsettschneiderinnen Berlins. Seitdem sie während ihrer Ausbildung bei einer Londoner Modedesignerin zum ersten Mal damit in Berührung kam, ist sie fasziniert von dem Kleidungsstück, das zu den wichtigsten Ausstattungsstücken der Burlesque zählt: Das Tragen von Korsetts stammt eigentlich aus der SM- und Fetisch-Szene, die in London schon weit verbreitet war. Dort hatte auch Dita von Teese ihre Inspiration her.“ Eine Burlesque-Tänzerin benötigt aber natürlich mehr als ein Korsett. „Für eine raffinierte Entkleidungs–Choreografie sind viele Details nötig, ein Strumpfhalter hier, ein Schleifchen da, das man einzeln ausziehen kann, um die Performance auszuweiten“, sagt Merz.

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Denn Burlesque ist niveauvolles Strippen, das eine Geschichte erzählt mit aufwendigem Kostüm und glamourösen Requisiten. Mit einem großen Repertoire an Rollenvorbildern angefangen von dem Moulin–Rouge–Varietétheater der Pariser Belle Époque mit seinem zirkushaften Pomp über die Strenge der Weimarer Republik bis zur Pin–Up–Ikone Bettie Page aus den prüden 50er Jahren regt es die Phantasie an.

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Eine Hommage an das Dandytum des Fin–de–Sieclè verkörpert der Conférencier Fez Wrecker mit Moustache und schwarzem Anzug, der das Publikum begrüßt: „Ladys and gentlemen, welcome to our show Fête Fatale where beauty meets bizarre.“ Ein eleganter 40–jähriger Leipziger mit Hosenträgern und Zylinder ist extra angereist. Er betreibt selbst ein Cabaret–Theater und hat eine Woche zuvor im Pariser „Crazy Horse“ eine exklusive Show von Dita von Teese gesehen: „In Berlin entsteht Burlesque gerade und live ist es immer etwas Besonderes.“

Der Schein bestimmt hier das Bewusstsein – die Inszenierung der eigenen Erscheinung ist nicht nur den Tänzerinnen wichtig, sondern auch dem extravaganten Publikum: Gefärbte, kunstvoll in Wellen gelegte Haare, falsche Wimpern, umrahmt von dickem Lidstrich, präzise gezupfte Augenbrauen und blutrote Lippen in elfenbeinfarbenen Gesichtern, Kirsch– oder Schwalben–Tattoos, funkelnder Strass, Seidenhandschuhe, lackierte Nägel, die aus Peeptoes blitzen, drapierte Dekolletés und vor allem schillernde Stoffe – Bast, Seide, Lack, Leoprint, Tüll und Spitze, die verhüllen und tief blicken lassen.

Der Puls der Fête Fatale steigt. Die Luft wird heißer, verrauchter, der Körperkontakt enger. In der erotikgeschwängerten Atmosphäre entlädt sich die Spannung in Pfiffen und Gejohle, während die Headline Honeys alle Facetten der burlesquen Verführung durchexerzieren: Von dem Trailer, dem Stolzieren vor dem eigentlichen Act, über Bumb and Grind, dem Vorfedern und Kreisen der Hüften und Quiver, dem Schütteln der Brüste bis zum Shimmy, dem Schütteln des ganzen Körpers. Die Königsdisziplin ist wohl der Titty Twister, das Kreisen der Brüste samt Pasties, der paliettenbesetzten Brustwarzenabdeckungen. Aus dem vor der kleinen Bühne wogenden Publikum brandet abwechselnd Lachen oder Applaus auf, als die Krankenschwester Mopsy Meyer die Psychopatin Diamond malträtiert, Vicky Butterfly mit einem pompösen Straußenfeder–Fächer Pirouetten dreht oder sich die Rose, Millicent Binks, aus einer originalgetreuen Knospennachbildung entblättert.

Der Spaß der Frauen an der Männerfantasie

Auffällig ist, dass es vor allem Frauen sind, die grölen und juchzen – der maskuline Anteil der Veranstaltung ist verschwindend gering, fast hat man das Gefühl, Männer sind nur als Anhängsel der Frauen dort. Es scheint widersprüchlich, dass auf der Bühne zelebrierte Männerfantasien wie kreisende Hüften, neckisches Schleifchen–Zupfen, brachiales Hintern–Versohlen oder Titty–Twister Frauen ansprechen. Es ist aber so. Dem ironischen Spiel mit diesen Phantasien, der augenzwinkernden Darbietung und Persiflage scheint eine gewisse emanzipatorische Kraft innezuwohnen. Burlesque, das von dem italienischen Wort „burlare“ für scherzen stammt, ist vor allem auch Cabaret. Ein Sich–selbst–nicht–Ernstnehmen. Ein Aufrufen von Stereotypen, um diese zu entlarven. „Burlesque bedient Männerfantasien, bricht aber auch damit. Allein das platte Ausziehen interessiert keinen mehr: Retro–Verführung ist angesagt, nicht Porno. Das ist vor allem ein Frauending – Frauen stehen im Mittelpunkt, Männer sind nur die Staffage“, fasst die Berlinerin Jessica dieses Phänomen zusammen. Sie ist seit der ersten Bohème Sauvage dabei, ein seit 2005 veranstaltetes 20er–Jahre–Revival, aus der die Fête Fatale hervorgegangen ist: „Turnschuhe oder Schlabberklamotten waren noch nie mein Ding.“ So wie Jessica geht es offenbar vielen der Besucherinnen, die hier herkommen, um auf besondere Art die Rückeroberung weiblicher Reize zu feiern.

Tanzstudio Schönheitstanz

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Die Wiederentdeckung des Femininen ist die immer wieder genannte Motivation neugieriger Frauen für einen Burlesque–Schnupperkurs im Tanzstudio Schönheitstanz. Die 45–Jährige Luise, die als Assistentin der Geschäftsführung einer Werbeagentur arbeitet, macht bis zu viermal in der Woche Sport. „Egal ob beim Sport oder im Beruf, es geht darum tougher und männlicher zu wirken.“ Dem will sie entgegensteuern: „Burlesque lehrt das stilvolle Kokettieren mit weiblichen Reizen. Man bekommt wieder ein Gefühl für Weiblichkeit, entdeckt seinen Körper neu.“ Das lernt sie unter Anleitung von der Burlesque–Performerin Lady Lou. Die Neuseeländerin formuliert den Grundgedanken der Burlesque–Anhängerinnen so: „Es ist egal, was man für einen Körper hat. Es kommt darauf an, wie man ihn einsetzt.“

Frei nach der Devise – so wie ich bin, bin ich sexy, werden auch auf der Fête Fatale Cellulite und Hüftspeck, liebevoll Love Handles genannt, offensiv dem Rampenlicht preisgegeben. Statt Heidi Klum’schem Schlankheitsterror herrscht hier barocke Laszivität, der Wunsch, nicht trotz, sondern wegen weiblicher Rundungen begehrt sein. Mopsy Meyer bringt das Backstage treffend auf den Punkt: „Mein Spitzname bezog sich auf die Größe meiner Möpse und stammt aus der Zeit als ich noch 15 Kilo mehr auf den Hüften hatte. Leider habe ich die durch die Schwangerschaft verloren.“ Neben Dita von Teese ist eine Frau stilbildend für die Szene, deren Körper nicht den genormten Schönheitsidealen entspricht: Beth Ditto. Die üppige Sängerin von Gossip lässt sich nackt für Magazine fotografieren als ein Statement: „Seht her! Wir Dicken müssen uns nicht verstecken. Wir sind schön und sexy.“

Diese individuellen Eigenheiten zelebriert die Fête Fatale auch in der Bandbreite der Performancethemen: Eine Braut tanzt ironisch unbeholfen den sterbenden Schwan, eine italienische Witwe betrauert schaurigschön den Tod ihre Mafioso–Mannes, eine hawaiianische Bikini–Schönheit mit Palmblättern inszeniert Tiki–Kultur. Viele verschiedene Szenen gehen in der Burlesque auf: Neben der initiativen Fetisch–Szene haben auch Gothics und Rockabillys sie für sich entdeckt. Die Rockabilly– und Hot Rod–Szene feiert ihre Affinität zur Burlesque auch mal im Roadrunners Club mit einem Auftritt der „Teaserettes“, einer Tanzgruppe die Burlesque in Berlin salonfähig machte. Doch in dieser Nacht vereinigen sich alle in der feuchtwarmen Enge des Bassy–Club zu einer einzigen taumelnden, dichtgedrängten Masse, die sich inzwischen in Rage gebracht hat. Die Fête Fatale nähert sich ihrem Höhepunkt. Als die baumstark–mächtige Königspython Julius von vier Menschen durch den Raum getragen wird, angefeuert von eruptiven Anfeuerungen des Publikums, kippt die Szene ins Surreale. Der lautstarke und schweißnasse Begeisterungsrausch kulminiert in einer stürmischen Ekstase zu dem Schlangentanz, der recht eindeutige Assoziationen weckt, als sich Tänzerin Diamond mit, um und auf der Python windet. Als sich zum tosenden Schlussapplaus die Schönen und Bizarren noch mal auf der kleinen Bühne drängen, wird klar – sie haben dem Abend nicht allein dem Publikum gewidmet, sie feiern sich selbst.

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