Wo Kohle zu Wein wird

Ausgerechnet aus einer Bierlaune heraus entstand vor 20 Jahren der kleine Weinberg im ehemaligen Tagebau. Nun neigt er sich seinem Ende

Seine Hände sind eher Pranken. Sehnig unter lederner Haut. Früher haben sie hier im ehemaligen Frechener Tagebau die Bagger zusammengeschraubt, heute greifen die Finger des 73-jährigen ehemaligen Maschinenschlossers Horst Meul vorsichtig nach den zarten Weintrauben, um zu prüfen, ob sie auch reif genug sind. Der hagere Mann mit schlohweißem Haar, den das Alter zwar gebeugt hat, der aber hochgewachsen mit seinem breiten Kreuz immer noch eine imposante Gestalt abgibt, steht inmitten seines ganzen Stolzes zwischen den Weinstöcken, die er und drei seiner Freunde hier vor knapp 20 Jahren als kleine Pflanzen in die Erde steckten. „Das ist schon wie mein Kind“, sagt der vierfache Großvater und grinst über das ganze Gesicht. Mit seinem markanten Schnauzbart erinnert er entfernt an den gallischen Bauernrebell José Bové, und tatsächlich trat er mit ähnlich störrischer Art den scheinbar widrigen Umständen entgegen, um auf einer kleinen Anhöhe, die den Namen Berg nicht verdient hat, Wein zu pflanzen.

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Er blinzelt in die Sonnenstrahlen, die durch das Weinlaub strahlen und belächelt sich selbst, weil er und seine Freunde völlig überflüssig Torf und Wasser an die frisch gepflanzten Reben geschüttet haben. „Dabei wächst Wein wie Unkraut. Nur mit der Hege und Pflege ist es anders.“

Weinberg aus einer Bierlaune

Doch im vergangenen Jahr schien es, als sei der Traum vom Wein vorbei und damit auch die kleine Tradition, die dort am Rande des Tagebaus im Südrevier gewachsen war. Der Jahrhundertpilz, der Mehltau, hatte die Rebstöcke befallen. „Schlagartig binnen vier Tagen waren das alles zerschrumpelte Rosinen“, erinnert sich Horst Meul. Befreundete Winzer rieten ihm die Rebstöcke zu vernichten. „Schneidet den Berg ab, der wird nie mehr etwas tragen“, so ihr gnadenloses Urteil. Doch so schnell wollten die Grefrather ihren Weinberg nicht aufgeben. „Wir sind einfach zu alt, um noch mal von vorne anzufangen“, so Horst Meul. Sie experimentierten mit sechs verschiedenen Spritzmitteln – und ihre Unnachgiebigkeit machte sich bezahlt. In diesem Jahr hängen wieder Trauben an den Rebstöcken, die er ernten kann.

Ausgerechnet aus einer Bierlaune heraus wurde vor 20 Jahren die ungewöhnliche Idee geboren: An dem Tresen der Grefrather Kneipe „Im Fuchsbau“ beschlossen die vier Rheinbraun-Kollegen, die kurz vor der Rente standen, einen Weinberg an dem Marienhang hinter dem Dorf anzulegen. Zwar liegt die Anhöhe fernab der üblichen Weinbaugebiete an Ahr und Mosel und im Gegensatz zu diesen nicht auf 400 Metern über der Meeresoberfläche – sondern auf rund 150 Metern. Doch die vier Männer ließen sich trotz dieser eher weinwidrigen Gegebenheiten, und obwohl sie von Winzern belächelt wurden, nicht von ihrer Idee abbringen. Sie besorgten sich von der Wetterstation Wachtberg Daten über Sonne, Wind und Regen. Nahmen Bodenproben. Und hatten Glück. Das Tagebaugebiet hat eine künstliche Grube geschaffen. „Wir sagen Loch dazu“, so Meul, in der bleibe die Hitze stehen. „Wenn Wind kommt, ist er frostig und hart.“ Gut für den Wein, der es nicht feucht und schwül mag. Außerdem wurde der Boden im ehemaligen Abbaugebiet mit einer Schicht aus Löss und Kies aufgeschüttet, ein mineralisch idealer Nährboden für Weinanbau. Der Traum vom Wein wurde greifbarer.

Traktor aus Jux zugelegt

Die Grefrather besuchten eine Rebschule an der Mosel. Und über zwei Jahre legte jede der vier Familien monatlich 50 Mark zurück, um ihren Traum vom Weinberg zu verwirklichen. Zuerst grenzten sie das nicht einmal 900 Quadratmeter große Areal mit einem Zaun ab und pflanzen Rebstöcke der widerstandsfähigsten Sorten. 164 der Sorte Müller-Thurgau für einen trockenen Weißwein und 167 der Sorte Kerner, der etwas lieblicher ausfällt. „Eine Mark fünfzig hat jedes Pflänzchen gekostet“, erinnert sich Horst Meul. Sie bangten und beteten. Zündeten Kerzen an im Marienkapellchen, das gleich hinter ihrem Weinberg liegt. Und die heilige Maria schien dem Wagnis der vier hold, jedenfalls ernteten sie nur drei Jahre später ihre ersten Trauben. „Das war, als wenn man ein Kind kriegt“, platzt es aus Horst Meul heraus. Winzer, die den Wein kosteten, attestierten dem Marientröpfchen einen „ordentlichen Muskatgeschmack“. „Dat schmeckt wie Kohle“, weiß Horst Meul. „Denn der Wein nimmt den Geschmack des Bodens an, auf dem er wächst.“

Jeder der vier legte sich einen Traktor zu. „Aus Jux“, wie Horst Meul sagt. An den Wochenenden fuhr er mit seinem blauen Hanomag in der Hermannstraße los, die Hauptstraße des Dorfes hinunter. An der Sparkasse stieß Karl-Heinz Spanka dazu, an der Habbelrather Straße reihte sich Günther Lövenich ein und in der Philippstraße Willi Köllen. „Wir sind im Tross durchs Dorf und alle wussten: Die fahren wieder in den Berg“, erzählt Horst Meul.

In einem Eimer zerdrückt er die gesammelten Trauben zur Maische, um den Zuckergehalt in Öchslegraden zu messen. So eifrig stampft er mit dem Holzscheit, dass er den zwischen die Früchte geratenen Marienkäfer gar nicht bemerkt. „Jetzt kommt der große Augenblick“, murmelt er vor sich hin, als er die süß-säuerlich duftende Flüssigkeit in einen Glaskolben füllt, in dem das Messgerät schwimmt. „82 Oechsle“, sagt er erleichtert. Das ist mehr, als er erwartet hat, und genügend, damit die Weinlese beginnen kann. 92 Oechsle war die höchste Süße, die die Grefrather Weinbauern in ihrem Marientröpfchen erzielten.

Arbeit wurde immer mühsamer

Akribisch führte der ehemalige Maschinenschlosser, der sein Handwerk auf der Grube Carl lernte, Buch über alle Zahlen. Allein in den ersten Jahren sammelten sich 180 Arbeitsstunden pro Familie im Jahr an. „Der Wert des Bergs ist nicht das Geld, sondern die Arbeit, die über Jahre reingeflossen ist“, sagt er. Doch die Arbeit im Berg wurde mit fortschreitendem Alter immer mühsamer. Inzwischen sind die Erntehelfer bei der Weinlese „von 60 an aufwärts“. Sie nehmen sich einen Tag Zeit, legen viele Pausen ein, und mittags kommen die Frauen mit Rotkohl, Kartoffeln und Spießbraten vorbei.

Früher kurbelten sie per Hand die Walzen, die die geernteten Trauben zerquetschten. Um sich die Arbeit zu erleichtern, haben sie sich irgendwann eine eigene Zerkleinerungsanlage gebastelt, deren Walzen mit einer Bohrmaschine angetrieben werden. Die fertige Maische fahren sie dann in kleinen Fässern an die Mosel zum Keltern.

Nun sitzt Horst Meul auf der Bank am Fuße des kleinen Weinbergs und betrachtet seine zerfurchten Hände. Hinter ihm stapeln sich vier morsche Weinfässer, die in einer Ecke vor sich hin wittern. Deren ausgeblichener Schriftzug lässt sich gerade noch erahnen: Grefrather Marientröpfchen. „Die haben wir für viel Geld extra schnitzen, anmalen und lackieren lassen“, sagt er und zum ersten Mal schwingt ein wenig Wehmut in seiner tiefen Bariton-Stimme mit. Auf den zu Tischen umfunktionierten Fässchen präsentierten die ehemals vier Familien stolz nach der Weinlese ihren Ertrag – die Flaschen mit dem selbst entworfenen Etikett des „Grefrather Marientröpfchens“. Mit 30 Flaschen fing es an, zwischenzeitlich waren es auch mal 600 Flaschen, die sie verschenkten und mit den anderen Grefrathern auf dem zur Tradition gewordenen Weinfest nach der Ernte tranken. Sogar eine Weinkönigin und ein Bacchus wurden an dem Tag gekürt.

Nur noch zu zweit

Doch damit ist es nun vorbei. Als vor zwei Jahren das 15. Grefrather Weinfest stattfand, ahnte noch niemand, dass es das letzte sein sollte. Doch im vergangenen Jahr fiel einfach die Ernte aus wegen des Jahrhundertpilzes, damit auch das Fest. Und in diesem Jahr sagten sie das Weinfest ab, denn die Weinlese ist schon beschwerlich genug. „Viele, die uns sonst beim Aufbau geholfen haben, sind verstorben. Allein schaffen wir das nicht mehr.“ Zwar helfen die zwei Schwiegersöhne, nur wie lange noch, weiß Horst Meul nicht. Und auch nicht, was dann mit dem Weinberg passiert.

Inzwischen sind nur noch er und Willi Köllen von den ehemals vier Freunden übrig geblieben. Einer, Günter Lövenich starb vor zehn Jahren, der andere, Karl-Heinz Spanka, „der war bekennender Biertrinker und hatte irgendwann keine Lust mehr“, sagt Horst Meul. „Da waren wir schließlich nur noch zwei.“

Ächzend drückt er die beiden Flügel des schmiedeeisernen Tores mit dem Schriftzug „Grefrather Marienhang“ zusammen, das er einst selbst geschweißt hat. Dann ruft er mit donnernder Stimme seinen English-Pointer-Jagdhund Snoopy, der vor einem der Kaninchenbauten am Hang japst. Und wendet sich zum Heimweg.

Meist ist er allein hier draußen am Hang hinter dem Dorf und genießt einfach die Ruhe. Manchmal fährt er mit dem Rad. Doch bei schönem Wetter holt er wie früher seinen blauen Hanomag aus der Garage. Hund Snoopy springt schon von selbst auf den linken Beifahrersitz, und Horst Meul fährt los, die Hermannstraße hinunter an der Sparkasse vorbei bis Willi Köllen mit seinem grünen Traktor an der Ecke dazustößt.

Und dann knattern die beiden Richtung Marienhang, und die Grefrather wissen: „Die gehen wieder in den Berg.“ Nur wie lange noch, das weiß niemand.

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